Grethergelände in Freiburg: gemeinschaftlich organisiert.

Das Grethergelände in Freiburg: die Häuser denen, die darin wohnen! Foto: Joergens.mi

Wohnen mit Zukunftsblick

Zukunftswerkstatt zum Thema Wohnen

Von Nina Treu

25. Juli 2019

Wie werden wir in Zukunft wohnen? Dieser Frage ging im Rahmen unseres Projektes „Zukunft für alle – gerecht. ökologisch. machbar.“ eine Gruppe von 14 Vordenker*innen aus Wissenschaft, Politik und sozialen Bewegungen nach.

Im Jahr 2048 gibt es: Wohnen als Grundrecht, Zugang zu gutem Wohnraum für alle, ein neues gesellschaftliches Zusammenleben in lebenswerten Nachbarschaften.

Im Jahr 2048 gibt es nicht mehr: Profite durch Wohneigentum, triste Wohnblöcke ohne Zusammenhalt und ohne Zugang zu Dingen des täglichen Bedarfs.

Unsere Vision

Lebendige Quartiere

Wir stellen uns lebendige Quartiere vor, in denen verschiedene Wohnformen nebeneinander existieren: Ein-Personen-Wohnungen, Familienwohnungen, „Clusterwohnungen“, große und kleine WGs. Wohnen ist multifunktional und kann mit Arbeiten kombiniert werden. Familienwohnungen sind neben Wohnprojekten, genossenschaftlichen Häusern und Mischungen aus eigenem Wohnraum und Gemeinschaft zu finden. Jede*r kann sich die eigene Wohnform aussuchen, insgesamt gibt es ein größeres Miteinander. Umzüge sind ohne Probleme möglich, wenn mit einer neuen Lebensphase neue Wohnbedarfe auftreten – damit ist auch ein selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter möglich. Alle Wohnformen sind legal – auch angeeignete leerstehende Häuser, Bauwägen, Zelte und umgebaute Lastwagen.

Die für ein gutes Leben notwendige Infrastruktur wie Kantinen, Waschbereiche, Werkstätten, Freizeiträume und Gärten wird geteilt. Sorgearbeit wird, wo möglich, gemeinschaftlich und möglichst im Viertel oder Dorf organisiert. Wohn- und Nutzraum wird vollständig mit regenerativer Energie versorgt. Es gibt als Nahrung nutzbares Grün an Fassaden und auf Dächern. Dadurch ist klimagerechtes Wohnen möglich und die neue Normalität.

Durch eine verbesserte Quartiersstruktur sind alle Dinge des täglichen Bedarfs fußläufig zu erreichen. Direkte Stadt-Land-Verbindungen wie solidarische Landwirtschaften und eine erhöhte Lebensmittelproduktion in Städten ermöglichen eine umweltgerechte Ernährung.

Um solche Quartiere umzusetzen, ist einerseits ein ökologischer Umbau des Bestandes notwendig, der sich an Bedürfnissen der Bewohner*innen orientiert und demokratisch gestaltet wird. Andererseits muss Neubau konsequent in Form nachhaltiger Quartiere angegangen werden, wie zum Beispiel von Neustart Schweiz vorgedacht.

Direktdemokratische Organisation

Die Erdgeschossflächen der Wohnhäuser können von solidarischen und ökologischen Betrieben oder als gemeinsame Räume für alle und zur Begegnung der Bewohner*innen genutzt werden. Hier treffen sich die Nachbar*innen auch, um über die Belange ihrer Nachbarschaft zu entscheiden. Sie bilden einen Nachbarschaftsrat, der Vertreter*innen in einen Quartiersrat entsendet. Aus diesem bilden sich Wohnräte, die sich dann auf kommunaler Ebene mit anderen Räten wie dem für Sorge, Ernährung, Bildung und Mobilität im Stadt-, Gemeinde- und Kreisrat treffen. Verschiedene Bevölkerungsgruppen und deren Bedürfnisse werden in den Räten abgebildet. Die Versorgungspflicht, also die Aufgabe, Infrastruktur und Wohnraum zur Verfügung zu stellen, liegt weiterhin auf kommunaler Ebene. Es gibt allerdings keine Stadtverwaltung im konventionellen Sinne mehr – sie sorgt lediglich für die Umsetzung und übernimmt die technische Erfüllung von nötigen (Um-)Bauprojekten. Um 2048 bei einer solchen Organisation von unten angelangt zu sein, sollten wir jetzt schon parallel zum repräsentativen System in Kommunen Räte von unten aufbauen.

Berliner Mieter*innen protestieren für eine gerechte Wohnpolitik

Steigende Mieten stoppen! Foto: Halina Wawzyniak

Gerechte Wohnraumvergabe und Kostenmiete

Zur modernen Organisation von Wohnraum werden digitale Tools genutzt. Diese ermöglichen zum Beispiel Transparenz über die Entscheidungen der Räte. Außerdem werden diese zur Wohnraumsuche und -vergabe eingesetzt. Einzelpersonen, Familien und Gruppen melden ihre Bedürfnisse in einem Onlineportal an. Diese werden mit dem verfügbaren Wohnraum abgeglichen. Falls mehrere Optionen passen, entscheidet das Los. Die Daten sind selbstverständlich gut geschützt und in gesellschaftlicher Hand. Mieter*innen erhalten damit Nutzungsrechte auf Zeit – der Wohnraum kann nicht mehr privatisiert werden. Auch Boden ist kein Privateigentum mehr, er wird als Gemeingut von der Kommune verwaltet.

Die aktuelle, meist an Gewinnen und Renditen orientierte Miete wird durch eine Kostenmiete ersetzt. Diese ermöglicht die Instandhaltung und notwendige Investitionen. Sollten doch Überschüsse erwirtschaftet werden, so werden diese für Auf- und Umbau weiterer Wohnflächen nach gleichfalls ökologischem und sozialem Maßstab verwendet, ähnlich dem Modell des Mietshäuser Syndikats.

Attraktives Wohnen auf dem Land

Dabei darf nicht vergessen werden, dass neues Wohnen in der Stadt und auf dem Land unterschiedliche Ausgangsbedingungen hat. Auch auf dem Land soll solidarisches und ökologisches Leben möglich sein, das demokratisch gestaltet wird. Hier gibt es ebenfalls diverse Wohnformen. Einfamilienhäuser werden nach Wegzug der eigenen Kinder so umgestaltet, dass der Raum gut genutzt wird. Es gibt stärkere Mischnutzungen von Gebäuden, die Einrichtung von sozialen und kulturellen Infrastrukturen sowie Co-Working-Räume. Die Pendeldistanzen zum Arbeitsplatz sind damit möglichst kurz. Das Leben auf dem Land ist attraktiv, es gibt dynamische Dörfer und Gemeinden statt wachsendem Druck, in Städte ziehen zu müssen.

Baupolitik für die Wenigen oder für die Bedürfnisse der Vielen? Enteignen für eine gerechte Wohnpolitik.

Enteignen! Foto: RAW

Und wie kommen wir dahin?

Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit

Die Zukunftswerkstatt, bei der diese Visionen entwickelt wurden, fällt in eine Zeit, in der die Debatte um Wohnraum und „Mietenwahnsinn“ hitzig geführt wird. In Berlin regiert eine rot-rot-grüne Koalition, die mit dem Versprechen gewählt wurde , den Menschen ihre Stadt zurückzugeben. Die Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“ zielt darauf ab, mehreren Großkonzernen in Berlin per Volksentscheid den Wohnungsbestand abzunehmen und in kommunales Eigentum zu überführen. Denn diese verdienen an Wohnraum satte Profite, drücken den Bewohner*innen aber gleichzeitig miserable Wohnbedingungen auf. Das hat eine breite gesellschaftliche Debatte über Enteignung angestoßen. Es ist klar geworden: Wohnen ist die soziale Frage, nicht nur in den Metropolen. Dass sich etwas ändern muss, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, ist allen klar. Auf dem Workshop sind wir davon ausgegangen, dass sich diese Dynamik fortentwickeln wird.

Deutsche Wohnen enteignen schlägt Wellen

„Deutsche Wohnen enteignen“ könnte zum Präzedenzfall in vielen verschiedenen Städten werden und damit zur Transformation des profitorientierten Immobilienmarktes führen. Ergänzend könnte eine Besetzungswelle von leerstehenden Luxuswohnungen und Büroflächen sowie Wohnungen und auch Häusern auf dem Land diese gesellschaftliche Umverteilung von Wohnraum noch weitertreiben und mit Selbstorganisation und gelebten Utopien verbinden. Räume können so angeeignet und mit Leben gefüllt werden.

Auch setzen wir darauf, dass durch den Druck der Klimabewegung die unökologischen Aspekte des aktuellen Wohnens und Bauens sowie der gesamten Stadtpolitik stärker in die Öffentlichkeit treten. Vielleicht fangen die Jugendlichen von Fridays for Future auch an, Bauplätze zu besetzen um gegen die unverantwortlichen Neubauten zu protestieren und dadurch Klimabaugesetze auf den Weg bringen? Oder Lokalpolitiker*innen schließen sich zusammen, um den Großkonzernen und ihren Aufkäufen die Stirn zu bieten? Die darauf folgenden Drohungen von Investor*innen, die Flächen nicht zu bewirtschaften, könnten von Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft skandalisiert werden und die Profitinteressen der Konzerne offenlegen. In jedem Fall: Immer mehr Mieter*innen werden sich gegen die schlechten Zustände zusammenschließen und ihre Anliegen bündeln. Als große gesellschaftliche Gruppe können sie damit großen Einfluss haben. Die Wohn- und Mietkrise wird weiter ein heißes politisches Thema bleiben, das in vielen Protestformen und Medien aufgegriffen wird.

Pioniere bauen von unten um

Schon jetzt gehen Pioniere voran und zeigen mit positiven Beispielen auf, dass ein anderes, solidarisches und umweltgerechtes Wohnen möglich ist. Orientiert am Modell von Neustart Schweiz werden Kommunen in ganz Europa dazu gebracht, neue Flächen für die demokratische Planung solidarischer Quartiere zu vergeben. Die schon bestehenden Strukturen wie Hausprojekte und Wohngenossenschaften werden durch Wohnprojekte-Tage und Stadtführungen zu alternativen Wohnmodellen bekannter gemacht. Planung von unten, wie von Planbude und Park Fiction vorgemacht, wird in vielen Städten umgesetzt. Commons-Pioniere werden ihre Ansätze von FabLabs, RepairCafés, städtischen Gärten, Umsonstläden, Werzeugverleihläden und ähnlichem miteinander verbinden. Auch das Land wird als Experimentierraum geöffnet, hier entstehen neue Ökodörfer und ländliche sozial-ökologische Start-Ups. Diese Pioniere werden sich mit Mieter*innen-Initiativen, Wissenschaft, Non-Profit-Stiftungen, Anwaltsverbänden, Umweltverbänden und Gewerkschaften zusammenschließen und damit eine breite Öffentlichkeit für den Kampf um umwelt- und sozial gerechtes Wohnen gewinnen.

Umdenken in der Kommunalpolitik

Sozial-ökologisch und an Gemeingütern ausgerichtete Wahllisten und Parteien kommen in zahlreichen Städten an die Macht und setzen Forderungen von unten um. Durch das Konzeptvergabeverfahren gehen Flächen und Gebäude nicht mehr an Höchstbietende sondern an das beste gemeinwohlorientierte Konzept. Initiativen für Mehrgenerationenhäuser und selbstorganisierte Projekte werden durch Beratung und Finanzzuschüsse gefördert. Dabei werden sie unterstützt von Studien, welche die ökonomischen Vorteile von Alternativmodellen untersuchen. Durch öffentliche Investitionen in arme Viertel werden die Wohnverhältnisse zunehmend angeglichen. Die Städte werden in Solidarity Cities umgewandelt, in denen alle Menschen durch ein städtisches Bürgerrecht Zugang zu sozialer und kultureller Infrastruktur erhalten. Außerdem schließen sich Städte in Fearless City-Netzwerken zusammen: Ausgehend von den täglichen Herausforderungen der Menschen in der Stadt wird in diesem Netzwerk versucht, neue Identitäten, Staatsbürger*innenschaften, Formen der Mitbestimmung und Autonomie gemeinsam mit allen Stadtbewohner*innen aufzubauen.

Klingt utopisch? Das soll es auf‘s Erste auch – in der Zukunftswerkstatt ging es schließlich um Visionen für das Jahr 2048. Sie sollen zum Denken über mögliche Zukünfte anregen. Und gleichzeitig: ist es angesichts der sich zuspitzenden Wohnkrise nicht völlig unrealistisch, so weiterzumachen wie bisher? Der Kampf um guten Wohnraum für alle wird weitergehen. Er eröffnet Chancen, weil es um konkrete Auseinandersetzungen geht, die alle betreffen und lokal verändert werden können. Es liegt an uns allen, diese Chance zu ergreifen.

 

The post Gutes Wohnen mit Zukunftsblick appeared first on Konzeptwerk Neue Ökonomie.

Menu