CO2-Budgets und Klimaschulden
17. Februar 2022
Wenn wir historische Klimaschulden mit einberechnen, sind die deutschen CO2-Budgets für die Einhaltung der Pariser Klimaziele längst aufgebraucht. Die Emissionen müssen nicht nur schnellstmöglich sinken, sondern globale Klimagerechtigkeit muss auch auf anderen Wegen geschaffen werden. Hier bieten wir einen Überblick über verschiedene Budgetrechnungen und ihre Konsequenzen.
Rechnung seit 1990: Die deutschen Budgets sind längst aufgebraucht
In unseren letzten Veröffentlichungen haben wir, basierend auf der Methodik des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung [4], lediglich die Klimaschulden seit 2016 berücksichtigt: Das markiert den Zeitpunkt nach Unterzeichnung des Pariser Klimavertrags. Spätestens hier, so das Argument, haben sich fast alle Staaten dazu bekannt, die Erderhitzung „möglichst“ auf 1,5 °C, aber mindestens auf „deutlich unter“ 2 °C zu begrenzen. Daran müssen sie sich messen lassen. Nach dieser Rechnung werden die deutschen Budgets für 1,5 °C – mit den unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsstufen der Erreichung dieses Ziels – in den nächsten vier Jahren aufgebraucht sein. Für 2°C wäre es voraussichtlich ausreichend, die Emissionen bis etwa 2040 auf Null zu senken. Die offiziellen Vorgaben des deutschen Klimaschutzgesetzes kommen dem zwar zumindest nahe, doch aktuell ist angesichts der zögerlichen staatlichen Maßnahmen sehr fraglich, ob der dort vorgesehene Pfad wirklich eingehalten werden kann.
Deutsches CO2-Restbudget ab 1990
In unserer neuen Berechnung machen wir nun einen Vergleich auf: Was passiert eigentlich mit den Budgets, wenn wir wenigstens die Klimaschulden seit 1990 einberechnen? 1990 ist das Vergleichsjahr, auf das sich am Anfang des UN-Klimaprozesses verständigt wurde. Auch das blendet natürlich bereits über ein Jahrhundert Industrialisierung aus. Dennoch ist das Ergebnis sehr deutlich: Nach dieser Berechnung wurden die deutschen Budgets für 1,5 °C bereits in den 2000ern verbraucht. In den 2010ern sind auch die 1,7 °C und 1,8 °C unerreichbar geworden – also die letzten Ziele, die sich noch als kompatibel mit dem Pariser Vertrag bezeichnen lassen. Auch die Chance auf 2 °C schwindet momentan rapide: Anfang 2023 wird auch das Budget für eine bloß 50%-ige Chance auf die Einhaltung dieser Grenze verbraucht sein. Würden wir noch einige Jahre weiter zurückrechnen, also noch mehr Klimaschulden einbeziehen, wäre natürlich auch dieses Ziel längst verpasst.
Klimaziel | Budget 1990 (Gt CO2) |
Verbraucht im Jahr… | Restbudget 1. Januar 2022 (Gt CO2) |
1,5 °C (83%) | 14,94 | 2005 | -28,28 |
1,5 °C (67%) | 16,21 | 2007 | -11,37 |
1,5 °C (50%) | 17,48 | 2008 | -10,10 |
1,7 °C (67%) | 20,02 | 2012 | -7,56 |
1,8 °C (67%) | 21,93 | 2014 | -5,66 |
2 °C (67%) | 25,74 | 2019 | -1,85 |
2 °C (50%) | 28,28 | 2023 | 0,69 |
Klimaschulden – wie begleichen?
Die Zahlen legen offen, dass es nicht mehr möglich sein wird, angehäufte Klimaschulden einfach nur durch überdurchschnittlich konsequenten Klimaschutz in der Zukunft zu „begleichen“. Zu viel Schaden wurde bereits angerichtet. Umso wichtiger wird es jetzt, globale Klimagerechtigkeit in verschiedenen Politikbereichen durchzusetzen: Die finanzielle Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen in besonders von der Klimakrise betroffenen Ländern durch Staaten wie Deutschland muss deutlich steigen. Ebenso müssen klimafreundliche Technologien in ärmeren Ländern verfügbar gemacht werden – und zwar im Sinne einer selbstbestimmten Entwicklung, die nicht durch geistige Eigentumsrechte in den Händen europäischer und nordamerikanischer Konzerne erschwert wird. Internationale Handelsbeziehungen müssen insgesamt gerechter werden, statt die ungleichen Machtverhältnisse über immer neue Freihandelsverträge fortzuschreiben. Der globale Süden darf dabei nicht nur als Rohstofflager für Klimatechnologien behandelt werden, während die Profite in den Norden abfließen. Auch müssen sichere Fluchtwege für Menschen geschaffen werden, die durch die direkten und indirekten Auswirkungen der Klimakrise – etwa auch durch bewaffnete Konflikte – gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Das sind nur einige der offensichtlichsten Dimensionen. Konsequenter Klimaschutz in Deutschland muss natürlich zusätzlich passieren – seine weitere Aufschiebung darf nicht wie in manchen internationalen Ausgleichsmechanismen vorgesehen einfach gegen die Unterstützung von mehr oder weniger fragwürdigen Klimaschutzprojekten im globalen Süden „verrechnet“ werden.
Budgets und Klimaschulden: immer politisch!
Der Vergleich zeigt, warum Klimaschulden ein solches Tabu in der politischen Diskussion sind: Sie sind sozusagen ein Fass ohne Boden. Die Grafiken veranschaulichen gleichzeitig, warum Budgets und Referenzjahre in der internationalen Klimapolitik grundsätzlich so umstritten sind: Je nachdem, welche vergangenen Emissionen einbezogen werden, verschieben sich die Rechnungen dramatisch. „Objektiv“ richtige Lösungen gibt es nicht. Budgets sind immer politisch! Das gilt auch für das von uns verwendete Prinzip der gleichmäßigen Pro-Kopf-Verteilung. Länder mit historisch hohen Emissionen, also großen Klimaschulden, bevorzugen stattdessen meistens eine Zielformulierung, bei der sie ihre Emissionen ausgehend von ihrem hohen Niveau um einen bestimmten Prozentsatz senken – und umschiffen so elegant die Frage der Klimaschulden. Auch die Frage, wie die Bevölkerungsentwicklung berücksichtigt wird, ist hochpolitisch. Unsere Berechnung passt die pro Kopf verteilten Emissionsbudgets an die Bevölkerungsentwicklung an, um Menschen nicht für Bevölkerungswachstum in ihrem Land klimapolitisch zu bestrafen. (Da sich der relative Bevölkerungsanteil eines Landes an der Weltbevölkerung mit der Zeit verändert, haben wir den Durchschnittswert seit 1990 zugrunde gelegt. Der deutsche Anteil ist dabei zwischen 1990 und 2020 von 1,5% auf 1,07% gesunken; im Durchschnitt betrug er 1,27%. [5]) Abschließend noch ein Hinweis zur Einordnung dieser Zahlen: Auch wenn die Budgetangaben auf einzelne Länder und Jahre heruntergebrochen sehr exakt wirken, ist zu bedenken, dass die zu Grunde liegenden globalen Gesamtbudgets, die der Weltklimarat in groben Schritten von 50 Gigatonnen angibt, mit Unsicherheiten behaftet sind. Sie enthalten zudem nur direkte CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, die klar territorial zuordbar sind. Nicht einberechnet sind andere Treibhausgase wie Methan (MH4) und Distickstoffmonoxid (N2O), die parallel reduziert werden müssten. Auch Emissionen aus veränderter Landnutzung, z.B. Waldrodungen, sind nicht enthalten, ebenso wie CO2 aus dem internationalen Flugverkehr. Trotz dieser Einschränkungen sind die Budgets hilfreiche Orientierungsmarken, die zeigen, auf welchem Klima-Zielkurs wir uns eigentlich befinden – und wie viel Klima-Ungerechtigkeit es aufzuarbeiten gibt. Für Klimagerechtigkeit dürfen wir aber nicht bei Zahlen stehenbleiben, sondern müssen vor allem qualitativ denken und globale soziale Beziehungen anders gestalten.
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