Nicht nur Müssen, sondern auch Wollen!
Auf dem Weg zu einer machtkritischen Organisation.
Organisation. Intern reden wir dabei von einem „Machtkritischen Prozess“.
Das heißt für uns, dass wir unsere Arbeitsweisen, Organisationsstrukturen,
Konfliktverhalten, Themeninhalte und Teamzusammensetzungen auf den
Prüfstand stellen.
Diesen Fragen gehen wir nach – mit dem Wissen, immer wieder Fehler zu machen und Ausschlüsse zu produzieren. Wir wollen dauerhaft eine lernende Organisation sein, die Machtdynamiken erkennt und Wege findet, diese abzubauen. Eng begleitet werden wir durch Jay Keim. Jay steht für ein diskriminierungssensibles, verantwortungsvolles und fürsorgliches Miteinander und gibt uns kritisches Feedback von außen. Jay kommt zu unseren Rückzügen, kann von Einzelpersonen angerufen werden und trifft sich in regelmäßigen Abständen mit der Anti-Diskriminierung-Arbeitsgruppe. Wir durften bis heute viel von Jay lernen und sind sehr dankbar für die Begleitung.
Wir haben uns nicht weniger als das Ziel einer sozial-ökologischen Transformation gesetzt. Wir stellen uns gegen die Profit- und Leistungsgesellschaft, die von Konkurrenz und einem „höher, schneller, weiter“-Denken geprägt ist. Dominante Machtstrukturen und Diskriminierung benennen wir und stellen uns diesen aktiv entgegen. Wir fordern ein gutes Leben für alle, in Kooperation und Selbstbestimmung, und innerhalb der ökologischen Grenzen. Wir fragen uns immer wieder, wie wir diese Werte selbst leben und in unsere Arbeitsweise überführen können. Das machen wir bereits mittels basisdemokratischer Entscheidungen oder der verkürzten Lohnarbeitszeit. Jedoch unterliegen auch wir den Regeln der Leistungsgesellschaft und der darin verinnerlichten weißen Dominanzkultur. Die jährliche Beschaffung von Projektgeldern erfordert einen permanenten Finanzierungsdruck und Ideenreichtum für neue, innovative Projekte. Zugleich laufen die aktuellen Projekte weiter: Veranstaltungen wollen durchgeführt, Artikel geschrieben und Vernetzungstreffen organisiert werden.
Und dann steht der nächste Klima- oder feministische Streik an: die Social Media Kanäle möchten bedient, die Massen organisiert und ein Banner gemalt werden. Und wir wollen selbst auch noch voller Energie dabei sein! Kein Wunder, dass bei all den äußeren und inneren Anforderungen das Gefühl entsteht, nicht genügend Zeit zu haben. Die Gefahr besteht, dass wir den eigenen Druck auf Andere abgeben, nur noch den einen richtigen Weg sehen und Konflikte vermieden werden.
Art dabei zuschauten. In Nichtregierungsorganisationen sind die Burnout-Raten mit am höchsten. Es sind also keine Einzelfälle, oder das Versagen Einzelner. Es ist ein sich häufendes Phänomen, wenn der idealistische Anspruch an Lohnarbeit hoch ist. Wir möchten als Organisation die strukturellen Faktoren für Stress und Überlastung so weit es geht verringern. Auch persönliche Faktoren, wie eigene Diskriminierungserfahrung oder der Hang zum Perfektionismus können zu Stress und Überlastung führen – diese können wir als Organisation nicht beeinflussen, aber auf dem Schirm haben.
Mit Jay sprachen wir über Stressfaktoren. Bereits das Wissen und die aktuellen Gespräche darüber machen uns aufmerksamer und helfen uns, einen besseren Umgang damit zu finden. Wie geht es der Person im Team? Ist sie schon lange gestresst, arbeitet sie übermäßig viel, welche Verantwortlichkeiten liegen bei ihr? Unsere Struktur als Kollektiv ist eine besondere Herausforderung: Einerseits sind wir uns in der Gruppe emotional näher als in den meisten Arbeitszusammenhängen, andererseits trägt jede*r Einzelne*r viel Eigenverantwortung. Es ist schwierig, bei Überlastung zu intervenieren. Daher haben wir jetzt eine Weisungsbefugnis für Burn-Out-Prävention eingeführt: Bei der Sorge um eine Kolleg*in suchen wir das Gespräch und können die Person gegebenenfalls in eine Erholungspause schicken.
Wir arbeiten seit Sommer 2021 in drei Fokusgruppen zu den Themen Organisationskultur (Konflikte und Selbstfürsorge), Anti-Rassismus bezüglich der Teamzusammensetzung und Arbeitsstrukturen. Die Fokusgruppen arbeiten an Vorschlägen zur Veränderung innerhalb ihrer Bereiche. So haben wir bereits die Mitbestimmung von Projektmitarbeitenden ausgeweitet. Damit schaffen wir mehr Transparenz und geteilte Verantwortung untereinander.
Wir haben unseren Ausschreibungstext in den Stellenausschreibungen angepasst und diskriminierungssensibler gestaltet. Unsere Priorität bei Neuanstellungen liegt darauf, ein Team aufzubauen, das eine Vielzahl von Hintergründen, Identitäten und Perspektiven repräsentiert.
Des Weiteren schreiben wir Selbstpositionierungen, die für alle Mitarbeitenden zu gänglich sind. Die Selbstpositionierungen dienen dazu, Fremdzuschreibungen und Annahmen untereinander abzubauen. Dabei entscheiden alle selbst, was sie teilen wollen und was nicht. Was relevant ist, sind Diskriminierungserfahrungen bezüglich Klassismus, Ableismus, Rassismus, Genderidentität & Sexismus, Sozialisation (Ost-/West-/not Deutschland), Religion und Umgang mit Stress.
Anfang 2021 haben nicht-binäre Mitarbeiter*innen die Gruppe „Queers im Konzeptwerk“ gegründet. Dies ist ein Austauschraum für Erfahrungen im Bezug auf Geschlechtsidentität in unserem Arbeitskontext. In selbstorganisierten Treffen ist Platz sowohl für Reden und Reflektieren als auch gegenseitiges Kennenlernen.
Seit der Gründung der Anti-Diskriminierung-Arbeitsgruppe 2016 ist viel passiert. Wir haben das Thema aus einer einzelnen Arbeitsgruppe heraus zum Querschnittthema für alle gemacht – damit hat es einen neuen Stellenwert. Nur wenn wir alle gemeinsam eine Veränderung wollen und nicht müssen, können wir sie auch schaffen.
Autorin:
Charlotte Hitzfelder (sie)
Gesamtkoordination &
AG Anti-Diskriminierung
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