2048

Heute haben wir alle einen abwechslungsreichen und entschleunigten Alltag. Die Erwerbsarbeitszeit von maximal 20 Stunden pro Woche macht es allen möglich, dass Zeit zur Verfügung steht für selbstgewählte Tätigkeiten und mehr Muße. Wir sind weniger gestresst und verspüren keinen Druck, erwerbsarbeiten zu müssen. Wir sind freier darin, zu entscheiden, mit welchen Aufgaben wir unseren Alltag und Lebensweg füllen.

Im Jahr 2048 gibt es:
↦ große Wertschätzung für Sorge-Tätigkeiten

↦ Zeitwohlstand
↦ 20 Stunden-Woche
↦ Lust am Tätigsein
↦ gleichberechtigte Arbeitsteilung

2048 gibt es nicht mehr:
⇤ Arbeitszwang
⇤ Arbeitslosigkeit
⇤ Burnouts
⇤ sinnlose Jobs

Erwerbsarbeit – nur eine Form der Arbeit neben anderen

Heute steht Erwerbsarbeit gleichberechtigt und gleichwertig neben drei weiteren Tätigkeitsfeldern: Sorgearbeit, Selbstentfaltung sowie politisches Engagement.

Erwerbsarbeiten gehen die Menschen heute in der Regel noch 20 Stunden pro Woche. Diese Zeit reicht aus, damit die Versorgung und Organisation der Gesellschaft gewährleistet sind. In früheren Zeiten wurde „Erwerbsarbeit“ oft mit dem Wort „Arbeit“ gleichgesetzt. Diese Erwerbsarbeit war Dreh- und Angelpunkt jeder Biografie, trug zum Überleben bei, war dabei aber nicht immer existenzsichernd. Andere Tätigkeiten wurden oft ausgeblendet. Diese Kurzsichtigkeit ist im Jahr 2048 überwunden – verschiedene Formen von Arbeit werden anerkannt und von allen ausgeübt.

Mit Sorgearbeit – auch Carearbeit genannt – sind Tätigkeiten gemeint wie Putzen, Wäsche machen, Kochen, Einkaufen, oder den Haushalt organisieren. Dazu gehört auch, sich um Kinder, Ältere und andere Menschen, die Unterstützung brauchen, zu kümmern und sie zu versorgen. Auch die Selbstsorge und Lebensberatung von Freund*innen ist mitgemeint.

Das Feld der Selbstentfaltung umfasst Lernen, neugierig das Leben erkunden, künstlerisch tätig sein, Sport treiben, Schreiben, Reisen oder sich der Muße hingeben.

Politisches Engagement meint, dass Menschen sich einbringen und Gesellschaft gestalten, beispielsweise in den Räten oder der Selbstorganisation eines Betriebs.

Der Sorgebereich – das größte Tätigkeitsfeld

Die Gleichrangigkeit dieser vier Tätigkeitsfelder ist heute nicht nur ideell umgesetzt. Dazu hat vor allem die veränderte Zielsetzung des Wirtschaftens geführt –menschliche Bedürfnisse stehen im Zentrum. Ein wesentlicher Teil der existenziellen Bedürfnisse werden durch Sorge- und Fürsorgearbeit erfüllt, weshalb sie Priorität vor anderen Arbeitsfeldern genießt. Diese Umstrukturierung veränderte damalige Wirtschaftszweige tiefgreifend. Viele Jobs, in denen vor allem Männer tätig waren, waren nicht mehr notwendig (Automobilindustrie, Bergbau, erdölbasierte Industrie und Rüstungsproduktion uvm.) und die Menschen brauchten neue Tätigkeitsfelder (→ Wirtschaft).

Die Transformation war herausfordernd und brauchte viel Fingerspitzengefühl, da sich eines der bedeutendsten Identifikationsfelder – die Erwerbsarbeit – für Millionen Menschen änderte. Im Ergebnis sind heute deutlich mehr Menschen aller Geschlechter entlohnt und unentlohnt im Sorgebereich tätig, was Geschlechterrollen nachhaltig veränderte und die Emanzipation von damals traditioneller Arbeitsteilung beschleunigte. Die heutige zentrale Stellung der Sorgearbeit wirkte sich auch auf globale Sorgeketten aus und machte sie überflüssig, da es schon lange keinen Mangel mehr an Menschen gibt, die in dem Bereich tätig sind. Heute ist unvorstellbar, dass vor allem Frauen aus anderen Ländern ihre Familien und Lieben für viele Jahre verließen und schlecht bezahlt wurden, um Kinder oder ältere Menschen fremder Familien auf anderen Kontinenten zu versorgen.

ARBEIT VON GESTERN

Gespräch zwischen Robert und Mandy, während sie die Kellerräume der ehemaligen Sysiphu AG leer räumen.

Mandy: Robert, ich glaube dieser
ganze Papierkram kann einfach weg.

Robert: Ich weiß nicht Mandy, ich glaube, hier sind wahre
Goldstücke darunter, Memos, Emails, Berichte.
Schau mal hier: „daher kommen wir zu der Einschätzung,
dass Herr Peters in seiner Rolle als Key-Account-Manager
die für ihn geltenden Key Performance Indicators
nachhaltig nicht erreichen wird.”

Mandy: Autsch, armer Herr Peters.
Diese Sprache von damals, diese Hierarchien!
Das fand ich selbst als ich mitten drin
gesteckt habe schon unerträglich.

Robert: Hier ist noch was: „Als Talent Relationship Management
begreifen wir das Management unserer Beziehung zu potentiellen Mitarbeitern”.
Ich finde, da steckt eine Menge drin, vor allem die Vorstellung,
dass wir unsere Beziehungen managen müssen.

Mandy: Das hier ist auch schlimm:
„da wir im Moment beim Arbeitsmarkt von einem buyers market
ausgehen können, können drohende Kündigungen weniger
prioritär behandelt werden.”

Robert: Was soll das überhaupt heißen?

Mandy: Dass es so viele Arbeitslose gibt, das man sich
nicht um seine Mitarbeiter kümmern muss.

Robert: Was soll das eigentlich heißen, arbeitslos?
Es gibt doch immer was zu tun.

Mandy: Jaja, die Gnade der späten Geburt!
Damals zählte nur die Arbeit, für die die Leute Geld
bekommen haben. Und das war meistens so wenig,
dass sie sehr viel arbeiten mussten.

Robert: Und die „Arbeitslosen“ haben sich dann um die
Sorgearbeit und die politische Arbeit gekümmert?

Mandy: Nein, die mussten alles dafür tun, dass sie
irgendwann vielleicht doch wieder eingestellt werden.
Dabei wurde ihnen auch immer wieder
klar gemacht, wie wertlos sie sind.

Robert: Und wer hat dann diese Arbeiten gemacht?

Mandy: Diskriminierte Gruppen wie Frauen oder
Menschen, die aus anderen Ländern kamen.
Und die politische Arbeit wurde einfach an
Eliten ausgelagert, mit entsprechenden Folgen.

Robert: Fast schon wieder elegant, wie schön
diabolisch das alles zusammen gespielt hat.
Vielleicht sollten wir das alles hier auswerten und ein tragik-komisches Theaterstück drausmachen!

Hausarbeit ist auf vielen Schultern verteilt

Hausarbeit ist heute auf mehr Menschen verteilt. Die 20 Stunden-Woche, die gesellschaftliche Ausrichtung auf Sorgearbeit und die sich auflösenden Geschlechterrollen bewirkten vor allem eine gleichberechtigte Verteilung der Hausarbeit zwischen den Geschlechtern. Letztlich führte auch die Umgestaltung von Wohnraum dazu, dass sich Menschen innerhalb von Häusern und Nachbarschaften Aufgaben wie Einkaufen, Kochen, Waschen, Putzen, Reparaturen, Kinderbegleitung und Sorgearbeit für Ältere und Menschen mit Beeinträchtigungen aufteilen. Wohnungen sind oft flexibel je nach Nutzungsbedarf veränderbar. In den meisten Wohnhäusern oder Wohnblöcken gibt es große Küchen, Werkstätten, Waschküchen, Gemeinschaftsräume und Gärten. Dadurch begegnen sich Nachbar*innen viel häufiger, und erleben sich intensiver als Gemeinschaft.

Die Menschen, die miteinander wohnen, fühlen sich verantwortlich füreinander und unterstützen sich in vielen Sorgetätigkeiten. Zum Beispiel bringen sie sich gegenseitig das Essen und Produkte aus dem Lebensmittelpunkt (→ Wohnen) mit, kochen für die Wohngemeinschaft oder halten den Wohnort sauber und instand. Menschen entscheiden selbst, mit wem sie enger zusammen leben wollen, für wen sie Sorgeverantwortung übernehmen, wie sie sich in die Gemeinschaft einbringen oder auch nicht. Heute sind die Menschen in ihre direkte Nachbarschaft eingebettet und viel weniger isoliert.

Lebensläufe jenseits des Arbeitszwangs

Die vier Tätigkeitsfelder setzen die Menschen selten zeitgleich an einem Tag um. Vielmehr gibt es heute Lebensphasen, in denen ein bis zwei jener Tätigkeiten intensiver nachgegangen wird als anderen. So wechseln sich die Schwerpunkte immer wieder ab. Menschen widmen sich eine Zeit lang ihrer Bildung und gehen in diesem Bereich ihren Interessen nach. Anschließend entscheiden sie sich, mehr Sorgearbeit für jemanden zu übernehmen, schließen eine Phase politischen Engagements an, um später womöglich intensiver einer Erwerbsarbeit nachzugehen und dann nach einiger Zeit der politischen Arbeit wieder mehr Aufmerksamkeit zu geben. Die Abwechslung ist jederzeit frei wählbar, ganz ohne vorgezeichneten Lebenslauf. Umsetzbar ist das, weil alle auch dann umfassend sozial abgesichert sind, wenn keiner Erwerbsarbeit nachgegangen wird (→ Soziale Garantien).

Die Entkoppelung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung war ein Durchbruch der sozial-ökologischen Transformation. Der Arbeitszwang wurde begraben, gesellschaftliche Teilhabe wurde garantiert, egal, welcher Tätigkeit Menschen nachgehen. Auch heute gibt es Menschen, die gar keiner Tätigkeit nachgehen. Das tun sie meistens aber nur für einen kurzen Zeitraum (→ Produktion und Betriebe, s. Box). Die Umgestaltung der Gesellschaft ohne Arbeitszwang, die Schaffung vieler sinnvoller Tätigkeiten mit attraktiven Arbeitsbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten haben dazu geführt, dass Menschen meist tätig sein wollen. Manche sind es vielleicht nicht im Erwerbsbereich, übernehmen dafür aber andere Aufgaben. Heute sind Menschen eher bereit, von sich aus beizutragen, weil es sinnvoll scheint und sie selbstbestimmt entscheiden können.

2020
Was es schon gibt

→ Netzwerk attac
Die AG Arbeit fair teilen setzt sich für die Umverteilung von Arbeit und eine Arbeitszeitverkürzung ein.

→ Netzwerk Care Revolution
Setzt sich für neue Modelle von Sorge-Beziehungen und eine Care-Ökonomie ein.

→ Respect Berlin
Das europaweite Netzwerk engagiert sich für Migrant*innen in der bezahlten Hausarbeit und unterstützt sie, ihre Rechte zu verteidigen.

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