»Wir arbeiten bis zur Belastungsgrenze und auch darüber hinaus.«
Zuerst erschienen im SURPLUS Magazin.
Silvia Habekost: Ich arbeite im OP und da merkt man einfach diesen Druck, möglichst viele Fälle zu generieren. Nicht die Patientenversorgung steht im Mittelpunkt, sondern dass möglichst viel operiert wird. Dadurch, dass zu wenig Personal da ist, werden nicht ausreichend Kapazitäten angeboten und die Kapazitäten, die da sind, sollen voll ausgefüllt werden, damit kein Puffer mehr bleibt. Kein Puffer für Notfälle, keine Zeit, um auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten einzugehen. Wir arbeiten bis zur Belastungsgrenze und auch darüber hinaus. Das hält man nicht in Vollzeit aus.
Gibt es keine Regelungen, die der Überlastung der Beschäftigten etwas entgegensetzen?
Unser Entlastungs-Tarifvertrag legt für die Stationen eine Ratio, also ein Verhältnis, fest, wie viele Patienten die Pflegekräfte versorgen können. Wenn das nicht eingehalten wird, bekommen die Pflegekräfte sogenannte Belastungspunkte und nach fünf belasteten Schichten bekommt man bis zu 15 Tage im Jahr frei, der Rest wird dann ausgezahlt. Und das macht natürlich für einen individuell schon einen echten Unterschied. Das erhöht den Druck darauf, dass genug Personal da ist. Auch im OP-Bereich generieren wir Belastungspunkte, zum Beispiel wenn ich als Anästhesiepflege mehr als einen Saal betreue. Im Aufwachraum haben wir auch eine Ratio. Die Belastung wird nicht weniger, aber wir bekommen genauso frei, wie die Kolleginnen und Kollegen in der Pflege.
Sie haben 2021 sehr engagiert einen Tarifvertrag für Entlastung bei Vivantes und an der Charité erkämpft. Wenn man sie jetzt hört, klingt es, als hätte sich seitdem nicht viel verändert.
Es gibt schon mehr Personal. Aber dadurch, dass es nicht weniger Patienten werden, sondern eher mehr, beißt sich das wieder. In den Bereichen, wo das gut funktioniert, herrschen auch bessere Arbeitsbedingungen. Da wo die Ratios eingehalten werden, entstehen auch keine freien Tage, außer bei kurzfristigen Personalausfällen. Das ist auch immer sehr individuell, wie das im Einzelfall so aussieht. Aber dadurch, dass dieser ökonomische Druck so hoch ist, werden, sobald mehr Personal da ist, die Kapazitäten erhöht. Das führt nicht zwangsläufig zu weniger Belastung.
Es gibt jetzt die neue Krankenhausreform. Lauterbach hatte versprochen, es würde eine Entökonomisierung stattfinden, damit dieser Wettbewerb abnimmt, er wollte auch die diagnosebezogenen Fallpauschalen abschaffen. Das ist alles nicht passiert. Es wird eher noch schlimmer werden. Dieser Wahnsinn, mehr Fälle zu produzieren, wird noch zunehmen. Und die andere Absicht der Reform war, Krankenhäuser zu schließen, weil es zu viele Krankenhäuser geben würde. Aber es gibt keine Folgenabschätzung, was passiert, wenn man einfach mal so Krankenhäuser schließt, ohne dass man dafür eine Struktur schafft, die das auffängt. Es ist ein sehr komplexes Thema. Das System vor den Fallpauschalen war ein kostendeckendes, bedarfsgerechtes Finanzierungssystem. Seit der Einführung der Fallpauschalen ging es nicht mehr um Bedarfsgerechtigkeit. Es wurden Preise festgelegt für die einzelnen Fälle, was Durchschnittswerte sind. Das führte zum Wettbewerb um die lukrativsten Fälle und wer am besten Kosten senken konnte. Da es keine verbindlichen Richtwerte gab, wie viel Personal eigentlich da sein muss, wurde dort am meisten gespart.
Aber wurden diese Fallkostenpauschalen nicht teilweise abgeschafft? Geht es durch die Reform nicht eher darum, wie viele Kapazitäten Krankenhäuser bereithalten?
Die Finanzierung läuft nach wie vor über die Fallpauschalen. Aber es gibt jetzt noch andere Pauschalen, und zwar Vorhaltepauschalen. Die sind für Vorhaltekosten, die ein Krankenhaus auf jeden Fall hat. In der Rettungsstelle zum Beispiel weißt du ja vorher nicht, wie viele Notfälle kommen. Doch es entstehen Grundkosten, da man Personal und die ganze Struktur vorhalten muss. Wenn ich höre, Vorhaltekosten werden übernommen, heißt es für mich, dass je nach Einzugsgebiet diese Struktur vorhanden und finanziert sein muss. Es darf nicht davon abhängen, wie viele dann letztendlich kommen. Aber wie das Wort Pauschalen so schön sagt, wird das durch die Reform an die Anzahl der Fälle geknüpft. Pflegekosten für „Pflege am Bett“ wird schon seit längerer Zeit als Pflegebudget abgerechnet. Das war ein großer Erfolg und dieses System bleibt auch. Für alle anderen Bereiche – wie OP, Anästhesie, Rettungsstellen, Radiologie etc. fallen die Personalkosten nach wie vor unter die Fallpauschalen und zukünftig auch unter die Vorhaltepauschalen – das alles ohne verbindliche Personalvorgaben.
Ja, das geht doch nicht. Wenn Krankenhäuser mehr Fälle haben, bekommen sie nicht mehr Geld. Wenn sie weniger Fälle haben, wird ihnen das Geld abgezogen und wird auf andere Krankenhäuser verteilt. Das heißt, dieser Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern, wer jetzt welche Patienten versorgt, bleibt oder wird sogar noch schlimmer. Und dieses Geld für die Vorhaltepauschalen kann auch für andere Dinge ausgegeben werden, das sind keine zweckgebundenen Gelder. Da Krankenhäuser nach wie vor Gewinne machen dürfen, kann man sich ja vorstellen, was dann die privaten Krankenhäuser, die gewinnorientiert sind, machen werden. Bereits jetzt hat der Wettbewerb darum begonnen, möglichst viele Fälle zu haben, damit man auch vernünftig als Krankenhaus eingestuft wird.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Es braucht eine vernünftige Krankenhausplanung, das muss bedarfsgerecht finanziert werden und es muss vom Patienten her gedacht werden und nicht vom Geld her. Außerdem braucht es eine Aufhebung der Grenzen zwischen ambulant und stationär. So was wie Polikliniken müsste es wieder geben und nicht ausschließlich privat geführte Praxen oder medizinische Versorgungszentren mit privater Trägerschaft. Es wird ja immer gesagt, es ist alles viel zu teuer. Das stimmt in dem Sinne nicht. Wir müssen uns die Einnahmeseite angucken. Dieser Krankenhaus-Strukturfonds, den es jetzt geben soll, wird aus gesetzlichen Krankenkassenbeiträgen und durch die Länder finanziert. Wieso werden Privatversicherungen nicht in die Pflicht genommen? Wieso zahle ich und mein Arbeitgeber in die Krankenkasse ein – Aber wenn du ein Einkommen aus Aktien und Besitz hast, wird nicht eingezahlt? Diese Umverteilung von Reichtum, die ist einfach ungerecht. Außerdem braucht es eine Finanzierung über Steuermittel oder einem Sondervermögen für die großen Strukturveränderungen. Schon jetzt stehen viele Krankenhäuser vor der Insolvenz – etwa weil in den letzten Jahren die gestiegenen Energiekosten nicht refinanziert wurden.
Lassen Sie uns nochmal rauszoomen – Pflege ist Sorgearbeit; das bedeutet einerseits, dass sie kaum in ihrer Produktivität gesteigert werden kann, und somit nur unter größtem Druck Profit generiert. Zugleich bedeutet das, dass es sich um feminisierte Arbeit handelt; also dass mehrheitlich Frauen unter schlechten Arbeits- und Lohnbedingungen in der Pflege arbeiten. Wie wirkt sich dieses Verhältnis auf Ihre gewerkschaftlichen Kämpfe aus?
Zum einen hat Profit in der Daseinsvorsorge nichts zu suchen. Es wird immer von produktiver Arbeit geredet und dann wird meistens von der Autoindustrie oder einer anderen Industrie gesprochen. Das wird dann als Mehrwert empfunden und dargestellt. Aber die ganze Sorgearbeit, unter der ich auch noch mehr als Gesundheitsversorgung zähle, also Bildung und Kinderbetreuung und so weiter. Das wird dargestellt, als würde das keinen Mehrwert schaffen. Aber eine Industrie kannst du nicht ohne Sorgearbeit aufrechterhalten. Die Kosten dafür müssen mit eingerechnet werden und dürfen nicht unter den Tisch fallen. Dass man mit Gesundheitsversorgung generell Geld verdienen kann, das ist doch völlig perfide.
Ich finde es ist wichtig, dass wir mehr Geld fordern. Von mir aus könnten die Forderungen auch höher aussehen. Die Arbeitszeit-Forderungen, dank derer Beschäftigte zwischen mehr Geld und mehr Freizeit wählen könnten, sind auch verständlich. Das ist Ergebnis einer Umfrage, die gemacht wurde. Aber bei uns im Krankenhaus haben ohnehin schon fast alle ihre Arbeitszeit reduziert und das ist in vielen Krankenhäusern so, nicht nur in der Pflege, weil man diese Arbeit einfach nicht in Vollzeit schaffen kann. Von daher wäre es gut gewesen, eine generelle Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich zu fordern. Außerdem gibt es einen großen Anteil an prekär Beschäftigten in Krankenhäusern und auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Für diese Kolleginnen und Kollegen muss eine ordentliche Lohnerhöhung her!
Vielen Dank für das Interview!
Foto: Stefan Häusler
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